E-Auto als Stromspeicher mit bidirektionalem Laden nutzen

Stell dir vor, du verfügst über eine leistungsfähige Powerbank, schöpfst ihre Möglichkeiten aber nicht aus. Genau in dieser Situation befinden sich viele Elektroautonutzer. Denn der im E-Auto integrierte Akku ist letztlich ein großer Stromspeicher, der derzeit die meiste Zeit des Tages kaum genutzt wird. Das könntest Du möglicherweise bald ändern, indem du mithilfe des bidirektionalen Ladens dein E-Auto als Stromspeicher verwendest. In diesem Artikel möchten wir die damit verbundenen Möglichkeiten, Vor- und Nachteile sowie Voraussetzungen skizzieren.

Beim bidirektionalen Laden („Bidi-Laden“) kann der elektrische Strom in zwei Richtungen fließen. So ist es nicht nur möglich, eine Batterie aufzuladen, sondern den geladenen Strom auch zu einem anderen Zweck als für den Antrieb des E-Auto-Motors zu verwenden. Dementsprechend dient das E-Auto als Energiespeicher. Unterscheiden lassen sich folgende drei Grundformen:

• Vehicle to Load (V2L)
• Vehicle to Home (V2H)
• Vehicle to Grid (V2G)

Technisch am einfachsten lässt sich V2L realisieren. Hierbei lädst du elektrische Geräte über die im E-Auto integrierte Schuko-Steckdose auf. Bei V2H versorgt die Batterie des E-Autos hingegen nicht ein spezielles Elektrogerät mit Strom. Stattdessen speist diese Energie in das Hausstromnetz ein. Das geschieht in der Regel über eine spezielle DC-Wallbox. Bei V2G erstreckt sich die Energieversorgung sogar auf das komplette Stromnetz.

Zu den wichtigsten Vorzügen eines Elektroautos als Stromspeicher zählen die folgenden Punkte:

• Elektrogeräte unterwegs aufladen
• Stromversorgung bei Netzausfällen
• Stromkosten senken
• Umweltfreundliche und effiziente Strombereitstellung

V2L (Vehicle to Load) ist ideal, um Geräte unterwegs mit frischer Energie aufzuladen. So kannst du etwa nicht nur den Akku Deines E-Bikes mit Strom versorgen, sondern beim Camping beispielsweise Smartphones oder Laptops aufladen und so länger nutzen. Auch Handwerker setzen diese Technik ein, um auf Baustellen bei Bedarf Bohrmaschinen & Co mit Strom zu versorgen.

Mit V2H (Vehicle to Home) kannst du dich effektiv gegen Stromausfälle wappnen. Wie gut das in der Praxis funktioniert, zeigt das Beispiel eines Kanadiers. Der nutzte Ende 2022 – während des durch einen Schneesturm ausgelösten Stromnetzausfalls – den Akku seines Elektroautos, um mehrere Verbrauchsgeräte in seinem Haushalt weiterhin mit Strom zu versorgen. Als das Stromnetz nach 44 Stunden wieder funktionierte, war der Akku des E-Autos übrigens noch zu fast zwei Dritteln geladen.

Verbraucher, die Stromverträge mit variablen Stromtarifen haben, können durch V2H effektiv ihre Stromkosten senken. Immer, wenn der vom Versorger bezogene Strom gerade besonders teuer ist, kannst du die im E-Auto-Akku gespeicherte Energie nutzen. Stromtanken kannst du später bei niedrigeren Strompreisen oder per eigener Photovoltaikanlage.

Der Anteil des durch Sonne und Wind umweltfreundlich erzeugten Stroms nimmt immer weiter zu. Zu manchen Zeiten ist die Produktion sogar höher als der Verbrauch. Bei Dunkelheit oder Windstille klafft hingegen eine Versorgungslücke. Stromspeicher können Angebot und Nachfrage an Energie umweltfreundlich und effizient synchronisieren. Stehen genug E-Autos im Rahmen von V2G (Vehicle to Grid) als Stromspeicher zur Verfügung, müssen keine oder zumindest weniger umweltschädliche Kraftwerke Energie liefern. Für das Einspeisen von Strom – etwa bei der Erzeugung durch die eigene Photovoltaikanlage – in das öffentliche Netz winkt zudem ein Entgelt.

Neben den Vorzügen sind naturgemäß auch einige Nachteile mit der Nutzung des E-Autos als mobiler Energiespeicher verbunden:

• Spezielles Equipment erforderlich
• Höhere Investitionskosten
• Zusätzliche Akku-Belastung

Auch wenn es eine siebenstellige Zahl von E-Autos und privaten Wallboxen in Deutschland gibt, lassen diese sich nicht ohne weiteres nutzen, um das E-Auto in einen Energiespeicher zu verwandeln. Zunächst muss das E-Auto Bidi-Laden unterstützen. Das bieten längst nicht alle Modelle und viele auch nur V2L. Bei V2H und V2G sind die Anforderungen an Energiemanagement & Co nämlich höher.

Da ist es eine gute Nachricht, dass die ab 2025 von BMW gefertigten Fahrzeuge der „Neuen Klassen“ auch alle Varianten unterstützen werden. Wir haben für dich zusammengefasst, welche E-Autos sich Bidi-Laden lassen. Zudem sind noch spezielle Ladestecker und bidirektionale DC-Wallboxen erforderlich. Einige hilfreiche Informationen bietet dazu unser Artikel „Welche DC-Wallboxen für zu Hause gibt es?".

Wer das Bidi-Laden in allen Facetten nutzen möchte, steht vor Mehrkosten. So unterstützen die meisten günstigen E-Autos diese Funktion aktuell nicht oder lediglich in Form von V2L. Auch passende DC-Wallboxen kosten (noch) deutlich mehr als die AC-Standardmodelle ohne dieses Feature. Und wer die Möglichkeiten voll ausschöpfen möchte, sollte zudem über eine eigene Photovoltaikanlage nachdenken. Mit dieser sind hohe Anschaffungskosten verbunden – auch wenn sie nach ein paar Jahren im Betrieb für positive Erträge sorgen dürfte.

Das häufige Auf- und Entladen belastet den Akku. Das sorgt dafür, dass die Akkuleistung nach einer bestimmten Anzahl von Ladedurchgängen nachlässt. Wird aber die Batterie des E-Autos als Stromspeicher genutzt, sorgt das für eine zusätzliche Belastung. Dementsprechend sinkt die Akkukapazität früher.

Gut zu wissen: VW hat als einer der ersten Hersteller in Deutschland diese Problematik erkannt und hat seine Garantieleistungen auf das bidirektionale Laden angepasst. So können im Rahmen der Herstellergarantie beispielsweise beim VW ID.5 insgesamt bis zu 10.000 kWh entladen werden.

Bidi-Laden und das eigene E-Auto als Stromspeicher zu verwenden, hat viele Vorteile, denen aber auch einige Nachteile gegenüberstehen. Immerhin steigt aber das Angebot an geeigneten Fahrzeugen und Wallboxen sukzessive. Moderne Batterietechnologien sorgen zudem dafür, dass die Belastung durch zusätzliche Ladezyklen weniger ins Gewicht fällt. Deshalb dürfte sich Bidi-Laden in den nächsten Jahren durchsetzen. BMW hat in diesem Zusammenhang sogar angekündigt, Kunden mit den Fahrzeugen der „Neuen Klassen“ ein komplettes Charging-Ökosystem anzubieten.

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Bildnachweise: Volkswagen AG, Genesis Motor Europe GmbH, The Ford Motor Company, BMW AG,